Juni 2024
Ich war Eigentümerin einer Eigentumswohnung im Stockwerkeigentum. Vor einigen Monaten habe ich diese Wohnungen an meinen Sohn verkauft, wobei er mir jedoch ein lebenslängliches Nutzniessungsrecht an der Wohnung einräumte. Nun hat die Verwaltung der Stockwerkeigentümergemeinschaft zur Stockwerkeigentümerversammlung eingeladen. Kann ich an dieser Stockwerkeigentümerversammlung das Stimmrecht ausüben, obwohl mein Sohn Eigentümer der Wohnung ist?
Bei der Nutzniessung handelt es sich um ein beschränktes dingliches Recht. Wie von Ihnen richtig festgestellt, sind Sie als Inhaberin dieses Rechts nicht Eigentümerin der Eigentumswohnung und somit auch nicht Mitglied der Stockwerkeigentümergemeinschaft. Jedoch verlieht Ihnen die Nutzniessung den vollen Genuss am Stockwerkanteil. So benutzt die Nutzniesserin in der Regel die Stockwerkeinheit und trägt die Kosten des gewöhnlichen Unterhalts und der Bewirtschaftung. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) hält daher in Art. 712o Abs. 2 fest, dass sich der Eigentümer und der Nutzniesser eines Stockwerks über die Ausübung des Stimmrechts zu verständigen haben. So dürfen der Stockwerkeigentümer und der Nutzniesser beide an der Versammlung teilnehmen und sich vor Ort und fallweise über die Stimmabgabe einigen. Die Einigung kann aber auch mittels einer Vereinbarung im Voraus und / oder generell erfolgen.
Gelingt es dem Stockwerkeigentümer und dem Nutzniesser nicht, sich über die Stimmabgabe zu verständigen, so hält sieht das Gesetz in Art. 712o Abs.2 ZGB weiter fest, dass der Nutzniesser in allen Fragen der Verwaltung mit Ausnahme der bloss nützlichen oder der Verschönerung und Bequemlichkeit dienenden baulichen Massnahmen als stimmberechtigt gilt. Ihnen als Nutzniesserin kommt somit eine sehr weitgehende, ja beinahe vollständige Verwaltungsmacht über Ihren Stockwerkanteil sowie über die gemeinschaftlichen Teile der Stockwerkeigentümergemeinschaft zu. So umfasst Ihr Stimmrecht beispielsweise die Wahl der Verwaltung, die Genehmigung der Jahresrechnung sowie die Beschlussfassung über notwendige bauliche Massnahmen. Der Stockwerkeigentümer behält sein Stimmrecht nur für nützliche oder luxuriöse bauliche Massnahmen.
Obwohl das Gesetz in Art. 712o Abs. 2 OR nur den Nutzniesser ausdrücklich erwähnt, geht die Lehre davon aus, dass diese Bestimmung über den Gesetzeswortlaut hinaus auch für den Inhaber eines ausschliesslichen Wohnrechts gilt.
Matthias Fricker
m.fricker@frickerseiler.ch