Februar 2022
Der Bau unseres Hauses (Kostenpunkt ca. Fr. 1,5 Millionen) hat uns einigen Ärger beschert. Unser Architekt war als Bauführer unsorgfältig. Deshalb haben wir das vereinbarte Pauschalhonorar von Fr. 90'000.00 um Fr. 15'000.00 reduziert. Der Architekt verlangte vollständige Bezahlung. Deshalb beauftragten wir einen Anwalt aus dem Kanton Aargau. Nach einem kurzen Augenschein in unserem neuen Haus war es für unseren Anwalt "völlig klar": Die Fr. 15'000.00 sind nicht geschuldet. Nicht nur das: Als Folge mangelhafter Bauführung und Planungsfehlern muss Ihnen Ihr Architekt einen Minderwert von mindestens Fr. 100'000.00 bezahlen. Nachdem das Schlichtungsverfahren ergebnislos geblieben war, reichte unser Anwalt eine Forderungsklage über Fr. 100'000.00 ein. Die Sache sei "völlig klar". Über das Prozessrisiko, namentlich die möglichen Kostenfolgen hat uns unser Anwalt leider nicht aufgeklärt. Nun hat das Gericht unsere Klage abgelehnt. Es kam zum Schluss, dass keine vernünftigen Chancen bestanden hatten, auch nur annähernd einen Prozessgewinn in der Grössenordnung der eingeklagten Streitsumme zu realisieren. Das Ganze hat uns rund Fr. 60'000.00 gekostet (eigene Anwaltskosten, Kostenersatz Gegenpartei und Gerichtskosten). Wir sind frustriert. Können wir etwas unternehmen? Gibt es eigentlich niemanden, der den Anwälten auf die Finger schaut?
Ihren Ausführungen entnehme ich, dass Ihr Anwalt offenbar eine Klage mit überhöhtem Streitwert eingereicht hat, ohne Sie hinreichend über die Prozess- und Kostenrisiken aufzuklären. Damit hat Ihr Anwalt die ihm obliegende Sorgfaltspflicht gemäss Art. 398 Abs. 2 OR verletzt. Ich gehe davon aus, dass Sie - spätestens nach ergebnisloser Schlichtungsverhandlung - von einer Klage Abstand genommen hätten, wenn Sie von Ihrem Anwalt über die entstehenden Kosten in der Grössenordnung von Fr. 50'000.00 bei vollständigem Unterliegen orientiert worden wären. Auch die Tatsache, dass Ihr Anwalt den Minderwert Ihres Hauses offenbar lediglich auf Grund eines kurzen persönlichen Augenscheins auf Fr. 100’000.00 geschätzt hat, ohne sich bei einem Baufachmann abzusichern, stellt meines Erachtens eine Sorgfaltspflichtverletzung dar. So wie sich nach Ihrer Schilderung der Sachverhalt präsentiert, haben Sie gute Chancen, dass Ihr Anwalt Ihren Schaden ersetzen muss. Seit 1. Januar 2022 können Sie Ihren Schaden direkt bei der Haftpflichtversicherung Ihres Anwaltes geltend machen.
Im Kanton Aargau schaut die Anwaltskommission den Anwälten "auf die Finger". Verletzt ein Anwalt seine Berufspflichten, kann die Anwaltskommission Disziplinarmassnahmen verhängen.
Kurt Fricker
k.fricker@frickerseiler.ch