November 2019

Gleich neben unserem Haus beginnt ein Wanderweg, der erst über Felder und dann durch den Gemeindewald führt. Mit meinem Hund gehe ich dort jeden Tag spazieren. Dabei bewegt sich mein Hund frei; ich führe ihn also nicht an der Leine. Gestern hat er plötzlich Witterung aufgenommen, hat zwei Rehe aufgeschreckt und ist ihnen etwa hundert Meter durch den Wald nachgehetzt, ehe ich ihn zu mir zurückrufen konnte. Nun habe ich mich gefragt, mit welchen rechtlichen Konsequenzen ich rechnen müsste, wenn der Vorfall gemeldet werden würde?

Die vorliegende Frage beschlägt mehrere rechtliche Regelungsbereiche. In erster Linie ist das Jagdrecht betroffen. Das eidgenössische Jagdgesetz sieht für Personen, die Hunde vorsätzlich und ohne Berechtigung wildern lassen, eine Busse bis zu CHF 20'000 vor. Als Wildern gilt jede Verfolgung von Wild durch einen Hund. Beim wildernden Hund muss es sich nicht um einen Jagdhund im eigentlichen Sinne handeln. Die Strafbestimmung bezweckt allgemein, das Wild in seiner Ruhe zu schützen. Gemäss Bundesgericht ist die Dauer der Verfolgung ohne Bedeutung. Weiter ist es belanglos, ob der Hund überhaupt in der Lage gewesen wäre, das Wildtier zu erlegen. Bereits ein kurzes Nachhetzen kann deshalb als Wildern angesehen werden. Entscheidend ist einzig die damit einhergehende Störung der Wildruhe.

Lässt der Täter Hunde fahrlässig wildern, reduziert sich der maximale Bussenrahmen auf CHF 10'000. Die Abgrenzung zum vorsätzlichen Handeln wird dahingehend vorgenommen, ob der Täter das Wildern des Hundes zumindest in Kauf genommen oder ob er «nur» pflichtwidrig gehandelt hat. Weiss ich, dass es auf der fraglichen Strecke viele Wildtiere hat und mein Hund jegliche Gelegenheit nutzt, Wildtieren nachzustellen, ist von einem vorsätzlichen Handeln auszugehen, wenn ich ihn dennoch von der Leine lasse und er in der Folge ein Wildtier verfolgt. Hat mein Hund allerdings noch nie gejagt, bewegt er sich auch ohne Leine stets in meiner Nähe und habe ich im entsprechenden Gebiet noch nie ein Reh gesehen, wird wohl selbst ein fahrlässiges Handeln ausscheiden, wenn mein unangeleinter Hund dem auftauchenden Reh unerwartet nachjagt. Soweit möglich, soll sich nämlich jeder Hund auf seinem täglichen Spaziergang auch ohne Leine bewegen können. So sieht es die schweizerische Tierschutzverordnung vor.

Überdies ist das kantonale Recht zu beachten. Viele kantonale Hundegesetze stellen das ungenügende Beaufsichtigen des Hundes unter Busse. Im kantonalen Jagdrecht wird bisweilen gar ein Abschussrecht vorgesehen: Nach der aargauischen Jagdverordnung dürfen Mitglieder der Jagdgesellschaften und Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher streunende Hunde abschiessen, die beim Wildern angetroffen werden oder für Wildtiere eine unmittelbare Gefahr darstellen und nicht eingefangen werden können. Vorausgesetzt ist allerdings, dass die Halterin oder der Halter schriftlich verwarnt worden oder nicht bekannt ist. Nur Hunde, die beim Reissen von Wild angetroffen werden, dürfen auf der Stelle abgeschossen werden (hier fällt für den Hundehalter zusätzlich eine Strafuntersuchung wegen weiterer Verletzungen der Jagdvorschriften sowie Tierquälerei in Betracht).

Vielfach sieht das kantonale Jagdrecht zudem für die Setzzeit der Rehe eine Leinenpflicht vor. Beispielsweise müssen Hunde im Kanton Aargau im Wald und am Waldrand jeweils vom 1. April bis 31. Juli an der Leine geführt werden. Eine Widerhandlung hat wiederum eine Busse zur Folge. Selbstverständlich können zusätzliche bzw. ganzjährige Leinenpflichten eingeführt werden, wie es für sensible Gebiete der Natur regelmässig der Fall ist. Auch das kantonale oder kommunale Hunderecht enthält oftmals Leinenpflichten (z.B. für Spielplätze).

Samuel Egli
s.egli@frickerseiler.ch