Das sagt der Richter
Unter der Rubrik «Das sagt der Richter» stellen wir Ihnen kurz und prägnant neuste kantonale und eidgenössische Gerichtsentscheide vor: informativ, anregend, kurios – für alle etwas.
2025
Urteil Bundesgericht vom 14. Oktober 2024
Besuchsrecht von Drittpersonen
In seinem Entscheid vom 14. Oktober 2024 hatte das Bundesgericht folgenden Sachverhalt zu beurteilen:
Im August 2020 kam ein Kind unverheirateter Eltern zur Welt. Noch vor dessen Geburt hatten sich die Kindseltern getrennt. Während der Kindsvater nach der Trennung wieder in seinen Heimatkanton Wallis zog, verblieb die Kindsmutter an ihrem Wohnort im Kanton Freiburg bei ihrem Vater und ihrer Schwester (Grossvater und Tante des Kindes).
Im Jahr 2021 schlossen die Kindseltern im Rahmen eines Unterhaltsprozesses eine Vereinbarung. Darin kamen sie überein, die elterliche Sorge über ihr Kind weiterhin gemeinsam auszuüben, die elterliche Obhut aber alleine der Kindsmutter zuzuteilen. Im Weiteren vereinbarten sie zu Gunsten des Kindsvaters ein Besuchsrecht von anfänglich einigen Stunden an einem Wochenendtag, welches sukzessive ausgedehnt werden sollte, bis der Kindsvater sein Kind jeweils von Freitagabend bis Sonntagabend zu Besuch hätte nehmen können. Hinzu wäre dannzumal ein mehrwöchiges Ferienrecht gekommen.
Im Jahr 2023 erkrankte die Kindsmutter an Krebs. Zufolge schnell verschlechterten Gesundheitszustands reichte die Kindsmutter im Dezember 2023 einen Antrag ein, es sei den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen und das Kind sei an ihrem Wohnsitz unterzubringen resp. für den Fall, dass ihr Wohnsitz wegfallen würde, am Wohnsitz ihres Vaters (Grossvater des Kindes). Im gleichen Monat entzog die zuständige KESB den Eltern im Sinne eines superprovisorischen Entscheids das Recht zur Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes und legte den Aufenthaltsort des Kindes am Wohnsitz der Kindsmutter fest.
Anfangs Januar 2024 verstarb die Kindsmutter. Mitte Januar 2024 erliess die KESB den Endentscheid. Darin wurde festgehalten, dass der Kindsvater alleiniger Inhaber der elterlichen Sorge ist und dem Kindsvater das Recht zur Bestimmung des Aufenthaltsortes wiedererteilt wird. Gleichzeitig hat die KESB der Schwester und dem Vater der Kindsmutter (folglich der Tante und dem Grossvater des Kindes) ein vorübergehendes Besuchsrecht für die Dauer von rund sechs Monaten eingeräumt. Während dieser Zeit sollten Tante und Grossvater berechtigt sein, ihren Neffen resp. Enkel jeweils ein Wochenende pro Monat zu Besuch zu nehmen. Gegen diesen Entscheid haben beide Seiten (Kindsvater einerseits, Tante und Grossvater andererseits) das Rechtsmittel ergriffen.
Im Mai 2024 erliess die Beschwerdeinstanz des Kantons Wallis den Beschwerdeentscheid. Demnach sollten Tante und Grossvater ihren Neffen resp. Enkel jedes zweite Wochenende von Freitagabend bis Sonntagabend sowie jährlich während drei Wochen Ferien zu sich zu Besuch nehmen dürfen. Im Weiteren wurde für das Kind eine Beistandschaft errichtet. Gegen diesen Entscheid erhob der Kindsvater Beschwerde beim Bundesgericht.
Das Bundesgericht hatte im Rahmen des Beschwerdeverfahrens neben hier nicht zu interessierenden Verfahrensfragen die Frage zu klären, ob Dritten (vorliegend Tante und Grossvater) zu Recht ein Besuchsrecht eingeräumt worden war. Diesbezüglich fasste das Bundesgericht vorab die Entscheidbegründung der Vorinstanz zusammen. Diese lautete dahingehend, dass bereits alleine die Tatsache, dass die Mutter des Kindes verstorben sei, einen aussergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 274a Abs. 1 ZGB darstelle, der die Einräumung eines persönlichen Verkehrs zu Gunsten von Drittpersonen, insbesondere Verwandten, rechtfertige. Hinzu komme, dass der Kindsvater – entgegen seinen Aussagen – aufgrund seiner Handlungen offensichtlich entschlossen war, das Kontaktrecht zwischen dem Kind einerseits und dessen Tante und Grossvater andererseits zu behindern. Insbesondere die Tante des Kindes habe während der Erkrankung der Kindsmutter und nach deren Tod einen wichtigen Platz eingenommen. Das Kind sei in der unmittelbaren Umgebung der Kindsmutter und damit zusammen mit Tante und Grossvater aufgewachsen. Die Bindung zur Familie mütterlicherseits sei zwingend beizubehalten, habe das Kind doch schon seine Mutter verloren. Tante und Grossvater des Kindes hätten in den bisherigen Verfahren ausserdem gezeigt, dass sie das Kind dem Vater nicht vorenthalten wollten. Sie hätten sogar den Vorschlag gemacht, die Obhut über das Kind schrittweise auf den Vater zu übertragen. Damit hätten sie den Willen gezeigt, eine im Kindswohl liegende Lösung zu finden.
Das Bundesgericht seinerseits verwies in seiner Begründung vorab ebenfalls auf Art. 274a Abs. 1 ZGB und hielt fest, dass besagter Artikel – wenn in der Praxis auch eher unüblich – ein ausgedehntes Besuchsrecht auch zu Gunsten Dritter nicht untersage. Entscheidend bei der Definition eines solchen Besuchsrechts zu Gunsten Dritter sei alleine das Kindsinteresse. Dieses Kindsinteresse oder -wohl sei im Einzelfall und anhand der gesamten Umstände zu prüfen. Dazu gehörten Alter, Persönlichkeit und Bedürfnisse des Kindes, seine physische und psychische Gesundheit, die Beziehung zur und die Verfügbarkeit der berechtigten Person sowie die geografische Distanz zwischen Obhutsinhaber und Besuchsberechtigtem. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass den kantonalen Gerichten bei der Beurteilung eines Rechts auf persönlichen Verkehr ein Ermessenspielraum zukommen, der nur mit Zurückhaltung überprüft werde.
Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, dass der Entscheid und die Begründung desselben durch die kantonale Beschwerdeinstanz im Rahmen des zulässigen Ermessens erfolgt seien. Insbesondere der Umstand, dass das Kind seit seiner Geburt mit der Tante und dem Grossvater im mütterlichen Haushalt zusammengelebt habe, rechtfertige es, dass die Bindung zu eben dieser Tante und dem Grossvater aufrechterhalten werde. Hinzu komme, dass Tante und Grossvater anerboten haben, die jeweiligen Fahrten für die Ausübung der Besuche selber zu bewerkstelligen, so dass dem Kindsvater diesbezüglich keinerlei Zusatzaufwand entstehe. Weiter wies das Bundesgericht darauf hin, dass es dem Kindsvater zusammen mit seiner Ehefrau entgegen dessen Aussagen weiterhin möglich bleibt, eine intensive Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, auch wenn selbiges weiterhin Kontakt zu Tante und Grossvater mütterlicherseits hat.
Schlussendlich bestätigte das Bundesgericht auch die von der Beschwerdeinstanz angeordnete Beistandschaft. Dies nicht zuletzt mit der Begründung, der Kindsvater habe sich während des gesamten Verfahrens widerwillig gezeigt, ein Recht der Tante und des Grossvaters auf persönlichen Verkehr einzuführen und es sei bereits bei der Festlegung des ersten Besuchswochenendes zu einem Streit gekommen. Der Gefahr, dass der Kindsvater die Bindung zwischen dem Kind und dessen Tante und Grossvater unterbinde, könne mit einer Beistandschaft begegnet werden.
Bundesgericht, II. zivilrechtliche Abteilung, Urteil vom 14. Oktober 2024, 5A_359/2024
Irene Koch
i.koch@frickerseiler.ch
Urteil Bundesgericht vom 26. Juni 2024
Beschwerde des Erzeugers gegen Verfahrenseinstellung bei einem Schwangerschaftsabbruch
Im Entscheid 7B_1024/2023 hatte sich das Bundesgericht mit der Beschwerde eines Mannes zu befassen, der sich gegen die Einstellung des Strafverfahrens gegen seine Ex-Partnerin wegen des Vorwurfs des strafbaren Schwangerschaftsabbruchs wehrte.
Fraglich war dabei insbesondere, ob der Mann als Erzeuger überhaupt beschwerdelegitimiert ist. Im Zusammenhang entsprechender Beschwerden ist entscheidend, dass die beschwerdeführende Person entweder selbst Trägerin des von der einschlägigen Strafnorm geschützten Rechtsgutes oder ein Angehöriger des Opfers ist.
Wie gezeigt, stand gegen die Ex-Partnerin der Vorwurf des strafbaren Schwangerschaftsabbruches im Raum, welcher in Art. 118 StGB geregelt ist. Als Rechtsgut wird dabei das menschliche Leben während der Schwangerschaft geschützt. Einbezogen sind hierbei grundsätzlich alle Embryonen und Föten bis zur Menschwerdung, also bis zu ihrer Geburt. Aus dieser Definition folgt, dass der Beschwerdeführer nicht Träger dieses Rechtsgutes ist, weshalb eine diesbezügliche Beschwerdelegitimation ausscheidet.
Zu prüfen war sodann noch, ob ihm allenfalls als Angehöriger des Opfers Beschwerdelegitimation zukommen konnte. Als Opfer gilt die geschädigte Person, die durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 116 Abs. 1 StPO). Und als Angehörige des Opfers gelten seine Ehegattin oder sein Ehegatte, seine Kinder und Eltern sowie die Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen (Art. 116 Abs. 2 StPO). Würde demnach die Opferstellung des ungeborenen Kindes bejaht, wäre sein Erzeuger wohl als Angehöriger anzusehen.
Das Bundesgericht sieht das ungeborene Leben jedoch nicht als geschädigte Person und damit auch nicht als Opfer. Zur Begründung führte das Bundesgericht mit Verweis auf das Zivilgesetzbuch aus, dass die Persönlichkeit mit dem Leben nach der vollendeten Geburt beginnt und mit dem Tod endet (Art. 31 Abs. 1 ZGB). Vor der Geburt ist das Kind nur unter dem Vorbehalt rechtsfähig, dass es lebendig geboren wird (Art. 31 Abs. 2 ZGB). Das Kind, das tot geboren wird, erwirbt demnach keine Rechtsfähigkeit, was bedeutet, dass das von Art. 118 StGB geschützte ungeborene Leben nach derzeitiger Gesetzeslage keine Persönlichkeit im Rechtssinne aufweist. Wird dieses ungebo-rene Leben vor der Geburt durch Schwangerschaftsabbruch beendet, konnte es nach Art. 31 ZGB niemals Persönlichkeit erlangen. Damit ist das ungeborene Leben aber auch keine geschädigte Per-son im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO und folglich auch kein Opfer gemäss Art. 116 Abs. 1 StPO.
Das Bundesgericht gelangte folglich zum Schluss, dass der Mann die Verfahrenseinstellung wegen des genannten Vorwurfs mangels Beschwerdelegitimation bzw. Parteistellung nicht anfechten konnte.
Hier findet sich die zugehörige Medienmitteilung des Bundesgerichts.
Bundesgericht, II. strafrechtliche Abteilung, Urteil vom 26. Juni 2024, 7B_1024/2023
Samuel Egli
s.egli@frickerseiler.ch
Urteile Bundesgericht vom 24.8.2023
Vermietete Wochenendhäuschen am Neuenbugersee
In einem Entscheid vom Oktober 2023 hatte sich das Bundesgericht mit dem Schicksal von Wochenendhäuschen am Ufer des Neuenburgersees zu befassen. In den Jahren 1961 und 1963 hatte der Kanton Waadt in der Gemeinde Yvonand am Ufer des Neuenburgersees vier Parzellen vermietet, mit der Erlaubnis, darauf Ferienhäuschen zu errichten, die im Eigentum der Mieter verbleiben sollten und die nach der Kündigung des Mietvertrages zu entfernen seien. Im Vertrag war ausdrücklich erwähnt, dass die Parzellen im Fall der Kündigung des Mietvertrages unbebaut zurückzuerstatten seien.
In den Jahren 1966 und 1967 waren zudem Baurechte zwischen dem Grundeigentümer und den Mietern für die mittlerweile darauf erstellten Ferienhäuschen mit einer Dauer bis Ende 2000 errichtet worden. Bei Vertragsablauf sollte der Baurechtsnehmer auf eigene Kosten jegliche bauliche Konstruktion und Installation entfernen und das Terrain ohne Entschädigungsanspruch im Naturzustand zurückgeben. Nach Ablauf der Baurechte im Jahr 2000 wurden die ursprünglichen Mietverträge stillschweigend fortgesetzt.
Im Juni 2019 kündigte der Kanton Waadt schliesslich die Mietverträge auf den 1. April 2000 und forderte die Mieter auf, die Häuschen auf jenen Zeitpunkt zu entfernen und die Grundstücke von jeglicher baulichen Konstruktion oder Installation zu befreien. Die vier Mieter fochten diese Kündigung an und verlangten subsidiär eine Mieterstreckung.
Ein Augenschein des Mietgerichtes ergab, dass die Häuschen auf in den Boden eingelassenen Fundamenten ruhten und allesamt über Strom-, Wasser- und Abwasseranschlüsse verfügten.
Das Mietgericht entschied zugunsten des Kantons als Vermieter und verpflichtete die Mieter, die vier Häuschen innert zweier Monate zu entfernen und die vermieteten Terrains innert dieser Frist zu räumen. Das Waadtländer Appellationsgericht bestätigte diesen Entscheid und auch das letztinstanzlich angerufene Bundesgericht bestätigte die Gültigkeit der Kündigung und die Pflicht der Mieter, ihre Ferienhäuschen auf eigene Kosten abzureissen.
Zur Begründung bezog sich das Bundesgericht auf Art. 677 des Zivilgesetzbuches, wonach Hütten, Buden, Baracken und dergleichen ihren besonderen Eigentümer behalten, wenn sie ohne Absicht bleibender Verbindung auf fremden Boden aufgerichtet sind. Es handelt sich hier um eine Ausnahme vom sogenannten Akzessionsprinzip, wonach in der Regel derjenige Eigentümer einer Baute ist, auf dessen Boden diese errichtet wurde. Mit anderen Worten fallen normalerweise das Eigentum am Boden und dasjenige von darauf errichteten Gebäuden zusammen.
Eine Ausnahme gilt dann, wenn es sich um sogenannte Fahrnisbauten handelt, die nicht fest mit dem Boden verbunden sind und insbesondere ohne die Absicht bleibender Verbindung errichtet wurden. Dabei kommt dem subjektiven Element, d.h. der Absicht der Beteiligten im Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes, besondere Bedeutung zu. Dies war hier entscheidend. Die Parteien hatten beim Abschluss des Mietvertrages klar die Absicht geäussert, dass die auf den Parzellen errichteten Häuschen nach Beendigung des Mietvertrages von den Mietern zu entfernen seien (und damit nicht in das Eigentum des Vermieters fallen sollten). Dies wurde mit den später abgeschlossenen Baurechtsverträgen noch bekräftigt. Dazu kam der Umstand, dass die Hauptsache, nämlich die vier vermieteten Uferparzellen, durch die Entfernung der Bestandteile, nämlich der Ferienhäuser, keinen signifikanten Schaden nehmen würden.
Im Resultat wurden die Eigentümer der Ferienhäuschen und Mieter der Uferparzellen also verpflichtet, ihre Häuschen abzureissen und die Parzellen dem Grundeigentümer zurückzugeben.
Bundesgericht, I. zivilrechtiche Abteilung, Urteil vom 24. Oktober 2023, 4A_337/2022, publiziert auch als BGE 150 III 103.
Roger Seiler
r.seiler@frickerseiler.ch