Das sagt der Richter

Unter der Rubrik «Das sagt der Richter» stellen wir Ihnen kurz und prägnant neuste kantonale und eidgenössische Gerichtsentscheide vor: informativ, anregend, kurios – für alle etwas.

2024

Urteile Bundesgericht vom 19. August 2024

Zulässige einseitige Vertragsänderung im Mietrecht

Die Stadt Zürich ist Eigentümer und Vermieterin von rund 10'000 Wohnungen bzw. Liegenschaften. Die Konditionen dieser Mietverträge sind für die Mieter oft sehr vorteilhaft. Aus diesem Grund hat die Stadt Zürich klare Regeln, an wen sie ihre Mietobjekte vermietet. Nachdem vor einigen Jahren bekannt wurde, dass diverse günstige Wohnungen auch sehr vermögende Personen vermietet wurden, hat der Gemeinderat Zürich die Vorschriften zur Vermietung im Jahr 2018 verschärft und erliess dazu die «Verordnung über die Grundsätze der Vermietung von städtischen Wohnungen» (VGV). Gestützt auf diese Verordnung führte die Stadtverwaltung unter anderem auch eine Regelung zur Mindestbelegung ein. Diese Regelung besagt, dass die Anzahl Bewohner puls eins die maximal erlaubte Anzahl Zimmer ergibt. Nach Inkrafttreten der VGV passte die Stadt Zürich insgesamt rund 4'900 Mietverträge an, indem sie den Mietparteien auf dem amtlichen Formular «Mitteilung von Mietzinserhöhungen und einseitigen Vertragsänderungen (Art. 269d OR)» mitteilten, ab dem 1. Januar 2024 würden "Zusatzpflichten auf Basis VGV gelten. Die in der Verordnung vorgesehenen Bestimmungen zu Wohnsitz, Wohnungsbelegung, wirtschaftlichen Verhältnissen, Einkommensentwicklung, persönlichem Gebrauch, Untervermietung sowie Informations- und Auskunftspflichten bzw. Auskunftsermächtigungen würden allenfalls im bestehenden Mietvertrag enthaltene Bestimmungen ersetzen oder ergänzen. Wer die geänderten Kriterien nach einer Prüfung durch die Stadt nicht erfüllte, dem bot die Stadt zwei Ersatzwohnungen an. Die meisten betroffenen Mieterinnen und Mieter akzeptierten eine davon. Mit zwei Mietparteien konnte hingegen keine einvernehmliche Lösung gefunden werden, weshalb diese die einseitige Vertragsänderung angefochten haben. 

Bei der einen Partei handelte es sich um eine Frau, die am am 1. November 1995 zusammen mit ihrem Ehemann mit der Stadt Zürich einen Mietvertrag über ein 6-Zimmer-Einfamilienhaus für monatlich Fr. 2'860.—abschloss. Nachdem ihr Mann verstarb, wohnte die Frau alleine in Haus. Dieser Frau wurde von der Stadt Zürich eine 2-Zimmer-Wohnung vorgeschlagen oder sie hätte vier neue Mietbewohner suchen können. Dies lehnte sie ab und hat unter anderem folgende Mietvertragsänderung angefochten:

«Die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner des Mietobjekts darf die Zahl der Zimmer um höchstens eins unterschreiten. Bei höherer Unterschreitung gilt das Mietobjekt als unterbelegt. Bei der Berechnung der minimal erforderlichen Personenzahl werden nur Personen berücksichtigt, welche die Wohnsitzvorschriften erfüllen. 

Die Einhaltung der Belegungsvorschriften ist für die Vermieterin eine unabdingbare Voraussetzung für die Erfüllung des Mietvertrags. Bei deren Verletzung ist ein Wohnungswechsel erforderlich, falls der vertragsgemässe Zustand nicht anderweitig hergestellt werden kann. Die Vermieterin macht der Mietpartei bei einer Unterbelegung nach Möglichkeit zwei zumutbare Ersatzangebote. Lehnt die Mietpartei die Ersatzangebote ab oder kann die Vermieterin keine Ersatzangebote unterbreiten, die den Vorgaben der VGV entsprechen, ist die Vermieterin berechtigt, den Mietvertrag zu kündigen.»

Beim zweiten Mieter, welcher gegen die Stadt Zürich vor Gericht ging, handelt es sich um einen Mann, der seit 1999 in einer 3,5 Zimmer-Dachwohnung lebt und dafür ursprünglich monatlich Fr. 2'493.00 bezahlte. Da sein Einkommen die dafür zulässige neue Obergrenze überschreitet, hat er keinen Anspruch mehr auf diese Wohnung. Dieser Mieter hat folgende Vertragsänderung angefochten:

«Wirtschaftliche Verhältnisse, Einkommensentwicklung

Der Mietzins und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Mietpartei müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Massgebend sind der Bruttomietzins und das steuerrechtlich massgebende Einkommen des gesamten Haushalts. Ein Zehntel des steuerbaren Haushaltsvermögens, das 200'000 Franken übersteigt, wird dem massgebenden Einkommen zugerechnet.

Das angemessene Verhältnis gilt im laufenden Mietverhältnis als verletzt, wenn das massgebende Einkommen gemäss Absatz 1 über 70'000 Franken liegt und gleichzeitig das Sechsfache des Bruttomietzinses übersteigt. Bei Verletzung des angemessenen Verhältnisses kann die Vermieterin von der Mietpartei einen Wohnungswechsel verlangen.

Wird ein Wohnungswechsel verlangt, macht die Vermieterin nach Möglichkeit zwei zumutbare Ersatzangebote. Lehnt die Mietpartei diese ab oder kann die Vermieterin keine Ersatzangebote unterbreiten, die den Vorgaben der VGV entsprechen, ist die Vermieterin berechtigt, den Mietvertrag zu kündigen. Bei einem massgebenden Haushaltseinkommen über 230'000 Franken kann das Mietverhältnis von der Vermieterin ohne Ersatzangebot gekündigt werden.»

Das Mietgericht Zürich sowie das Obergericht Zürich gaben der Mieterin und dem Mieterrecht und erklärten die Vertragsänderung für nichtig (Mietgericht) bzw. missbräuchlich (Obergericht). Dies wollte die Stadt Zürich nicht akzeptieren und erhob gegen die Urteile des Obergerichts Beschwerde am Bundesgericht.

Das Bundesgericht gelangte nun in zwei Urteilen vom 19. August 2024 zu einem anderen Entscheid als die Vorinstanzen und erklärte das Vorgehen der Stadt Zürich für zulässig. Gemäss Bundesgericht haben die Vorinstanzen nicht berücksichtigt, dass es sich bei der Stadt Zürich nicht um eine privater Vermieterin handelt und dass die Wohnungen mit öffentlichen Geldern verbilligt werden. Die verschärften Regeln seien rechtmässig. Eine optimale Auslastung von städtischen Wohnungen ist laut Bundesgericht ein legitimes Interesse der Allgemeinheit respektive der Wohnungssuchenden, da der Wohnraum in Zürich so knapp sei. Dass ein Mieter allenfalls ausziehen muss, weil er zu viel verdient, findet das Bundesgericht zumutbar.

 

Bundesgericht, I. zivilrechtliche Abteilung, Urteil vom 19. August 2024, 4A_82/2024 

und

Bundesgericht, I. zivilrechtliche Abteilung, Urteil vom 19. August 2024, 4A_105/2024 

 

Matthias Fricker
m.fricker@frickerseiler.ch

Urteil Bundesgericht vom 9. Februar 2024

Abänderung Betreuungsunterhalt bei Mehrverdienst des betreuenden Elternteils

Dem Bundesgerichtsentscheid vom 9. Februar 2024 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Herbst 2017 genehmigte das zuständige Bezirksgericht eine von zwei Eheleuten unterzeichnete Scheidungskonvention, in welcher sich der Ehemann zur Zahlung von Kinderunterhalt (bestehend aus Bar- und Betreuungsunterhalt) verpflichtet hatte. Knapp drei Jahre später ersuchte der Ehemann um Abänderung des Scheidungsurteils in dem Sinne, dass seine Kinderunterhaltspflicht zu reduzieren sei. Er begründete diesen Antrag damit, dass die Kindsmutter zwischenzeitlich einen Mehrverdienst erziele und mit ihrem neuen Lebenspartner zusammengezogen sei. Ausserdem seien die Kindsmutter und ihr neuer Lebenspartner zwischenzeitlich Eltern einer gemeinsamen Tochter geworden. 

Das Bundesgericht beantwortete im eingangs erwähnten Entscheid primär die Frage, inwiefern ein allfälliger Mehrverdienst des betreuenden Elternteils zu einer Reduktion oder Aufhebung des Betreuungsunterhalts führen muss. Es legte seinem Entscheid folgende Überlegungen zugrunde: 

Auf Antrag eines Elternteils hebt das Gericht bestehende Unterhaltspflichten gegenüber Kindern auf oder ändert sie ab, wenn sich die Verhältnisse nachträglich erheblich und dauerhaft geändert haben (Art. 286 Abs. 2 ZGB). Ein allfälliger Abänderungsanspruch kann sich auf alle Umstände stützen, die für die Berechnung des Unterhalts von Bedeutung sind. Dazu gehören namentlich Veränderungen in der Erwerbs- oder Wohnsituation. Eine effektive Unterhaltsabänderung rechtfertigt sich indes nur, wenn eingetretene Veränderung der Verhältnisse – im Vergleich zum ursprünglichen Entscheid – zu einem unzumutbaren Ungleichgewicht zwischen den involvierten Parteien führt. Ausgeschlossen sind Unterhaltsabänderungen grundsätzlich dann, wenn die Parteien im Rahmen einer Unterhaltsvereinbarung eine ungewisse Sachlage vergleichsweise bereinigt haben. In diesem Fall fehlt es an der notwendigen Referenzgrösse, an der sich ein allfälliger Abänderungsanspruch beurteilen lässt. Dasselbe muss auch gelten, wenn die Parteien gewisse künftige, aktuell aber noch unsichere Entwicklungen bereits in ihre Überlegungen und Vereinbarungen miteinbezogen haben. Aus diesem Grund ist es von grosser Wichtigkeit, dass im Rahmen einer Unterhaltsvereinbarung festgehalten wird, welche Ausgangswerte (Einkommen und Bedarf) den vereinbarten Unterhaltsbeiträgen zugrunde liegen.

In Bezug auf den Betreuungsunterhalt im Besonderen ist gemäss Bundesgericht zu beachten, dass dieser primär die bestmögliche Betreuung des Kindes gewährleisten soll und deshalb die (indirekten) Kosten abdeckt, die dem betreuenden Elternteil entstehen, weil er wegen der Kinderbetreuung keiner oder nur einer eingeschränkten Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Der Betreuungsunterhalt kommt wirtschaftlich dem betreuenden Elternteil zugute, auch wenn er formell einen Anspruch des Kindes darstellt. Berechnet wird der Betreuungsunterhalt anhand der sogenannten Lebenshaltungskostenmethode. Erhöht sich das Einkommen des betreuenden Elternteils, wirkt sich dies folglich direkt auf die Höhe des geschuldeten Unterhalts aus. Bei einer wesentlichen Einkommenserhöhung rechtfertigt sich eine unveränderte Beibehaltung des bisherigen Betreuungsunterhalts daher nicht. 

Aufgrund des vorstehend Gesagten ist eine bestehende Betreuungsunterhaltspflicht gemäss Bundesgericht folglich dann aufzuheben, wenn der betreuende Elternteil aufgrund eines gesteigerten Einkommens seinen Grundbedarf zu decken vermag. Würde der Betreuungsunterhalt unverändert fortgeführt, käme es zu einer unspezifischen Verbesserung der finanziellen Verhältnisse des Kindes, weil damit indirekt der Barunterhalt erhöht würde, ohne dass dieser Erhöhung eine entsprechende Bedarfsposition des Kindes gegenüberstehen würde. 

Gestützt auf die vorstehend dargelegten Überlegungen gelangte das Bundesgericht im konkreten Fall zum Schluss, dass eine Neuberechnung des Unterhalts vorzunehmen wäre, wenn die Kindsmutter ihr familienrechtliches Existenzminimum neu ganz oder in erheblich grösserem Umfang als zuvor zu decken vermöge. Dabei sei zwingend nach der zweistufig-konkreten Methode mit Überschussverteilung und unter Einbezug aller Parameter vorzugehen. Eine konkrete Neuberechnung konnte das Bundesgericht allerdings nicht selber vornehmen. Grund dafür war die Tatsache, dass nicht bekannt war, ob die Parteien im Rahmen der Scheidungskonvention einer allfälligen Erhöhung des Erwerbseinkommens der Kindsmutter bereits Rechnung getragen hatten. Nur sofern dies nicht der Fall gewesen ist, kommt eine Abänderung aufgrund der vorstehenden Ausführungen überhaupt in Betracht. 

 

Bundesgericht, II. zivilrechtliche Abteilung, Urteil vom 9. Februar 2024, 5A_176/2023

Irene Koch
i.koch@frickerseiler.ch

Urteil Bundesgericht vom 5. Februar 2024

Notwehr mit Hasenschrot?

Kürzlich hatte sich das Bundesgericht mit einem Fall auseinanderzusetzen, der sich 2016 im Bernbiet ereignet und den Einsatz von Hasenschrotpatronen zum Gegenstand hatte.

Zum Sachverhalt: Mehrere Personen drangen nachts in einen Bauernhof eines Bauern ein, der auch Marihuana anbaute. Als der Bauer die eingedrungenen Personen bemerkte, versuchte er diese – zusammen mit Helfern – zu vertreiben. Hierfür wurden u.a. eine mit Gummischrot geladenen Schusswaffe, ein Baseballschläger und Kabelbinder behändigt. Der Landwirt schoss in Richtung eines Flüchtenden. Dieser wurde eingeholt, unter Einsatz des Baseballschlägers zu Fall gebracht, an den Händen gefesselt, mit dem Gewehrkolben geschlagen, auf die Ladefläche eines Fahrzeugs gehievt und zum Hof transportiert. Sodann wurde dieser zur «Befragung» in den Rübenkeller in der Tenne des Hofes gebracht, dessen Eingang mit einem Brett verschlossen und mit einem Fahrzeug gesichert wurde. Der Landwirt und seine Helfer zogen sich daraufhin zu einer Lagebesprechung zurück. Sodann kehrten die Eindringlinge zurück, um ihren gefangengehaltenen Kumpan aus der Gefangenschaft zu befreien. Die dadurch verursachten Geräusche bewogen den Bauern, seine Schusswaffe mit Hasenschrotpatronen (3.5 mm Durchmesser pro Schrot) zu laden und sich damit zur Tenne zu begeben. Als er eintrat, stach ihm eine Person, welche sich beim Eingang versteckt hatte, mit einer Mistgabel in die Hand, wobei zwei Zinken seine Hand durchbohrten. Als die Einbrecher die Waffe bemerkten, flüchteten sie und suchten bei einem Hoflader Deckung. Der Bauer gab daraufhin einige Sekunden später einen unkontrollierten Schuss mit der Schrotmunition in Richtung der Deckung suchenden Personen ab. Danach begab er sich zum Nachbarshof, um Hilfe zu holen. Nach Rückkehr mit dem herbeigeholten Nachbarn, ergriffen die eingedrungenen Personen die Flucht. Kurz darauf wurde der noch gefangengehaltene Eindringling freigelassen.

Nachdem der Landwirt gegen den erstinstanzlichen Schuldspruch wegen mehrerer Delikte im vorbeschriebenen Zusammenhang (u.a. Freiheitsberaubung, mehrfache einfache Körperverletzung und Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz) in Berufung ging, wurde er auch vom Berner Obergericht verurteilt. Dabei sah das zweitinstanzliche Gericht u.a. davon ab, die beschriebene Schussabgabe als gerechtfertigte Notwehr zu werten.

Dem widersprach der Bauer und zog als Beschwerdeführer vor Bundesgericht: Im Zusammenhang des subjektiven Tatbestandes brachte er vor, dass wer auf eine Distanz von 16 Metern mit Hasenschrot auf Personen schiesse, welche sich bereits hinter dem Stahlblech eines Hofladers in Sicherheit gebracht hätten, nicht in Kauf nehme, diese zu verletzen. Hätte er die Personen treffen wollen, wäre ihm dies ohne Weiteres möglich gewesen. Er habe so also gezielt danebengeschossen, was gegen den erforderlichen (Eventual-)Vorsatz spreche. Überdies brachte der Beschwerdeführer vor Bundesgericht vor, ihm sei bei der Schussabgabe nicht bewusst gewesen, dass der Schuss mit der Schrotpatrone aus einer Distanz von 16 Metern lebensgefährliche Verletzungen verursachen könne. Vielmehr habe er den Hasenschrot, insbesondere aufgrund der Entfernung, als «relativ harmlos» eingestuft.

Sodann rügte der Beschwerdeführer, dass die Vorinstanz Bundesrecht verletze, indem sie zum Schluss gelange, er habe nicht in rechtfertigender Notwehr, sondern im Notwehrexzess gehandelt. Es habe eine Notwehrlage bestanden. Der Angriff der «Hanfdiebe» sei nämlich erst abgeschlossen gewesen, als der benachbarte Landwirt mit ihm auf seinen Hof gekommen sei und diese endgültig die Flucht ergriffen hätten. Dass sie keine Skrupel gehabt hätten, ihm ernsthafte, eventuell sogar tödliche Verletzungen zuzufügen, zeige der Angriff mit der Mistgabel eindrücklich. In Anbetracht der Schwere der bedrohten Rechtsgüter habe er den Grundsatz der Verhältnismässigkeit eingehalten, zumal ihm angesichts der Brutalität der Eindringlinge sowie deren zahlenmässigen Überlegenheit kein milderes, gleich effektives Mittel gegen den andauernden Angriff zur Verfügung gestanden habe.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. U.a. hielt es dabei fest, dass die beschriebenen Umständen als Inkaufnahme eines entsprechenden Körperverletzungserfolgs gewertet werden müssen. So habe das dynamische Geschehen - insbesondere nachdem der Beschwerdeführer kurz zuvor mit einer Mistgabel an der Hand verletzt worden war - eine gezielte Schussabgabe verunmöglicht. Dabei sei es mithin gesamthaft einzig vom Zufall abhängig gewesen, ob eine der beschossenen Personen schwer verletzt wurde. Zu denken sei insbesondere an eine schwere Verletzung im Kopfbereich, namentlich der Augen. Damit wurde im Mindesten ein eventualvorsätzliches Handeln bejaht.


Im Zusammenhang der geltend gemachten Notwehr rief das Bundesgericht vor der jeweiligen Subsumtion die Voraussetzungen der rechtfertigenden wie auch entschuldbaren Notwehr in Erinnerung, ehe es den Rechtfertigungs- bzw. Schuldausschlussgrund verneinte.


Dem Beschwerdeführer sei zwar insoweit zu folgen, als sich die Gewaltbereitschaft der eingedrungenen Personen darin manifestierte, dass er beim Betreten der Tenne heftig mit einer Mistgabel attackiert wurde. Entscheidend sei jedoch, dass sich die Personen nach diesem Angriff mit der Mistgabel bereits von ihm entfernt und beim Hoflader Sicherheit gesucht hatten, als er auf sie schoss. Im Zusammenhang des Angriffs auf de körperliche Integrität bestand also keine Notwehrlage mehr. Da so einzig der fortdauernde Angriff auf das Hausrecht als objektive Notwehrlage bestanden habe, sei die Notwehrhandlung der Schussabgabe im Weiteren unverhältnismässig: Mit der Schussabgabe in Richtung der Geflüchteten habe der Beschwerdeführer gleich mehrere Personen an Leib und Leben und damit hochwertige Rechtsgüter in schwerer Weise gefährdet. Gegenüber diesen sei das Hausrecht des Beschwerdeführers untergeordnet. Der Schuss mit Hasenschrotpatronen mit einem Durchmesser von 3.5 mm pro Schrot in Richtung der eingedrungenen Personen stehe in einem krassen Missverhältnis zu deren damit beabsichtigten Vertreibung vom Bauernhof. Da die Eindringlinge vor ihm geflüchtet waren und sich beim einige Meter entfernten Hoflader befanden, wo sie Deckung suchten, hätte der Beschwerdeführer zunächst mit der Waffe im Anschlag zuwarten und bei einem sich anbahnenden erneuten Angriff mit einer verhältnismässigen Notwehrhandlung (Warnschuss, Schuss auf die Gliedmassen etc.) reagieren können, anstatt unvermittelt aus relativ kurzer Distanz unkontrolliert auf die Personen zu schiessen. Dass die Schussabgabe ohne vorgängigen Warnruf oder Warnschuss erfolgte, trete erschwerend hinzu.

Auch bzgl. entschuldbarer Notwehr stützte das Bundesgericht die Vorinstanz: Diese erwäge zutreffend, dass der Angriff mit der Mistgabel beim Beschwerdeführer zwar immer noch nachgewirkt habe, als er den Schuss abgegeben habe. In diesem Moment sei er emotional aufgewühlt gewesen und habe die auf seinen Bauernhof eingedrungenen Personen unbedingt vertreiben wollen. Die Notwehrlage, die durch den Angriff mit der Mistgabel ausgelöst wurde, sei jedoch bereits beendet gewesen. Und die Notwehrlage durch den andauernden Angriff gegen das Hausrecht des Beschwerdeführers sei qualitativ nicht ausreichend, um die Aufregung oder Bestürzung des Beschwerdeführers bei objektiver Betrachtung als entschuldbar erscheinen zu lassen. Zudem stellte diese Situation keine Gefahr für Leib und Leben des Beschwerdeführers dar. Der Beschwerdeführer habe sein Recht auf Notwehr erheblich überschritten, indem er unvermittelt und unkontrolliert mit Schrotmunition auf die nur wenige Meter entfernten Personen geschossen habe. Entsprechend schwerwiegend müsste seine Aufregung oder Bestürzung gewesen sein, damit ihm zugestanden werden könnte, ihm sei es nicht möglich gewesen, besonnen und verantwortlich, etwa mit einem Warnschuss, zu reagieren.

Auch für das Bundesgericht scheint der Fall nicht alltäglich zu sein; hat es diesem doch eine Medienmitteilung gewidmet (Medienmitteilung vom 28.2.2024)

Bundesgericht, II. strafrechtliche Abteilung, 7B_13/2021 vom 5. Februar 2024

Samuel Egli
s.egli@frickerseiler.ch