Urteil des Bundesgerichts vom 22. Oktober 2020
Ferien und Freistellung
Nach der Kündigung eines Arbeitsvertrages passiert es regelmässig, dass der Arbeitnehmer für die Kündigungsfrist freigestellt wird. Der Arbeitnehmer ist somit nicht mehr verpflichtet, seine Arbeitstätigkeit zu leisten, bezieht indes bis zum Ende der Kündigungsfrist den normalen Lohn. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ein noch offenes Ferienguthaben mit der Freistellungszeit «verrechnet» werden darf. Hiermit hat sich das Bundesgericht in einem Entscheid vom vergangenen Oktober befasst (4A_381/2020).
Dem Entscheid liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem ein Autolackierer über 17 Jahre in einem Karosseriebetrieb angestellt war, wurde ihm – nach einer längeren unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit – am 21.10.2016 per 31.1.2017 gekündigt. Zudem wurde er per 1.12.2016 von der Arbeit freigestellt. Neben offenen Überstunden waren auch noch nicht bezogene Ferien Gegenstand des Gerichtsverfahrens. In diesem Zusammenhang hielt das Bundesgericht fest, dass Ferien während des Arbeitsverhältnisses nicht mit Geld abgegolten werden dürfen. Komme es nach einer Kündigung zu einer Freistellung, könne der Arbeitgeber jedoch den Bezug der ausstehenden Ferientage fordern; vorausgesetzt, die Kündigungsfrist ist im Verhältnis zu den offenen Ferien ausreichend lang, um dem Arbeitnehmer die Suche nach einer neuen Stelle zu ermöglichen. Massgebend bei dieser Beurteilung sind stets die Umstände des Einzelfalls. In anderen Fällen schützte das Bundesgericht den Bezug von 13 Ferientagen während einer Freistellungsdauer von 35 Tagen, oder den Bezug von 40 Ferientagen während eines Zeitraums von vier Monaten. Im vorliegenden Fall erachtete das Bundesgericht den Bezug von 35 Ferientagen bei einer Kündigungsfrist von 75 Arbeitstagen als zulässig. Relevant war insbesondere, dass sich der Arbeitnehmer weigerte, an IV-Massnahmen mitzuwirken, womit er zu erkennen gab, die «arbeitsfreie» Zeit nicht zur Stellensuche bzw. Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess genutzt zu haben.
Bundesgericht, I. zivilrechtliche Abteilung, Urteil 4A_318/2020 vom 22. Oktober 2020
Samuel Egli
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