Urteil des Bundesgerichts vom 19. März 2019
Betrunkene Fussgängerin muss sich zu Recht einer verkehrsmedizinischen Untersuchung unterziehen
Eine Fussgängerin, welche den Führerausweis für die Kategorie B seit 2002 besitzt, wurde beim Überqueren einer Hauptstrasse in einen Unfall mit einem Personenwagen verwickelt. Bei der nach dem Unfall durchgeführten Blutentnahme wurde für den Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2.65 bis maximal 3.38 Gewichtspromille errechnet. Daraufhin ordnete das zuständige Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen eine verkehrsmedizinische Untersuchung der Fussgängerin an und entzog ihr bis zum Vorliegen der Untersuchungsergebnisse vorsorglich den Führerausweis. Das Strassenverkehrsamt begründete seinen Entscheid damit, aufgrund der errechneten Blutalkoholkonzentration bestehe der Verdacht auf ein Alkoholproblem. Sowohl die Verwaltungsrekurskommission wie auch das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen wiesen die Beschwerden der Fussgängerin ab. Das Verwaltungsgericht gelangte dabei ebenfalls zum Schluss, es bestünden aufgrund des festgestellten Alkoholisierungsgrads berechtige Zweifel an der Fahreignung der Fussgängerin. Da bei ihr anlässlich der unmittelbar nach dem Umfall durchgeführten ärztlichen Untersuchung eher wenige alkoholtypische Beeinträchtigungen festgestellt worden seien, müsse auf eine beachtliche Alkoholgewöhnung geschlossen werden, was als Indiz für eine Alkoholsucht verstanden werden könne. Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts führte die Fussgängerin Beschwerde ans Bundesgericht.
Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil vom 19. März 2019 einleitend fest, dass eine verkehrsmedizinische Abklärung dann anzuordnen sei, wenn Zweifel an der Fahreignung einer Person bestehen. Zweifel würden unter anderem bei Fahren in angetrunkenem Zustand mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Gewichtspromille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0.8 mg Alkohol oder mehr pro Liter Atemluft bestehen. In diesen Fällen sei zwingend eine Fahreignungsuntersuchung anzuordnen. Die Anordnung einer solchen Untersuchung setze jedoch nicht zwingend voraus, dass der Fahrzeugführer tatsächlich unter dem Einfluss von Alkohol gefahren ist. Vielmehr könnten auch bei Personen, die ausserhalb des motorisierten Strassenverkehrs auffällig geworden sind, Zweifel an der Fahreignung aufkommen, wenn stichhaltige Gründe für ein tatsächlich verkehrsrelevantes Suchtverhalten vorliegen würden. Mit Verweis auf Angaben des Bundesamtes für Gesundheit, wonach die tödliche Dosis für ungewohnt Trinkende bei 3,0 bis 4,0 Gewichtspromille liege, gelangte das Bundesgericht im konkreten Fall zum Schluss, der Umstand, dass die Fussgängerin trotz der zum nachgelagerten Zeitpunkt der Blutentnahme immer noch sehr hohen Blutalkoholkonzentration von 2,53 Gewichtspromille gemäss ärztlichem Protokoll zeitlich und örtlich orientiert gewesen sei und sich nicht habe erbrechen müssen, lasse auf eine Alkoholgewöhnung bzw. eine Missbrauchsproblematik oder gar eine Suchterkrankung schliessen. Dies unabhängig davon, ob jemand am Strassenverkehr teilgenommen habe oder nicht. Aus diesem Grund sei die angeordnete verkehrsmedizinische Untersuchung nicht zu beanstanden.
Bundesgericht, I. öffentlich-rechtliche Abteilung, Urteil 1C-569/2018 vom 19.März 2019
Matthias Fricker
m.fricker@frickerseiler.ch